Seit Jahren nehme ich mir vor, endlich die Adonisröschenblüte im Oderbruchtal anzuschauen. Im Berliner Regional-Radio war am Wochenende zu hören, dass sich viele Menschen dorthin schon auf den Weg gemacht haben. Bevor die Blütenpracht der relativ kurzblühenden Adonisröschen (Adonis vernalis) auch dieses Jahr vorbei ist, fahre ich am Montag los. Denn ich will mir den Wochenendrummel ersparen. Ich bin gespannt und nehme eine frühe Regionalbahn vom Berliner Hauptbahnhof nach Frankfurt/Oder.
Nach Ankunft um 9.26 Uhr in Frankfurt schließt sich um 9.44 Uhr vom gleichen Gleis die Fahrt mit der Ostdeutschen Eisenbahn OE60 an, die während der Adonisblütenzeit vom 17.03 — 03.06.12 alle Stunde Extrahalte in Schönfließ Dorf macht. Nach zehn minütiger Fahrt bin ich schon da. Im heruntergekommen Bahnhofhäuschen arbeiten noch Bahnangestellte, im Gegensatz zu vielen anderen völlig stillgelegten Stationen. Deshalb ist der kleine Ort nicht völlig verwaist. Vor dem Bahnhof steht prominent ein Hinweisschild auf die Mallnow-Adonisblüten-Tour, offensichtlich ist das eine Frühjahrsattraktion. Tatsächlich ist die ganze Strecke sehr gut ausgeschildert, so dass niemand etwas falsch machen kann. Nach der Überquerung einer stark befahrenen Hauptstraße geht es gleich in eine Stichstraße, die direkt nach Mallnow führt. Es soll auch einen Bus geben, aber wegen der strahlenden Sonne bei völliger Windstille, beschließe ich die zwei Kilometer zu Fuss zu gehen — schließlich freue ich mich, endlich mal wieder auf dem Land zu sein.
Doch die Freude wird gleich getrübt. Auf der rechten Seite der Mallnow-Zubringerstraße wurde eine große Industrieanlage von “WINGAS” erbaut. Auf einem Schild steht erklärend: Verdichtungsanlage. So ist hier an der Grenze zu Polen fernab von Allem und sicherlich ohne Widerstand aus dem dünn bevölkerten Landstrich eine Verdichtungsanlage entstanden. Die qualmenden Schornsteine hinter mir lassend, gehe ich weiter. Die kleine Straße ist vielbefahren. Autos brausen mit hundert Sachen an mir vorbei, außerdem noch kommen hochrädrige, schwergewichtige Trecker daher. Deshalb will sich so gar keine Landlust bei mir einstellen. Wenn die Autos mal nicht fahren, gibt es kleine Erholungspausen. Dann kann ich mich an dem Lerchengesang freuen. Gleich mehrere Lerchen schrauben sich in den blauen Himmel und haben offensichtlich einen Sängerwettstreit entfacht. Beim schnellen Gehen — ich will die Straße hinter mich bringen — fällt mir in der windstillen Luft noch ein feiner, aber unangenehmer Geruch auf. Ich brauche eine Weile, bis ich darauf komme: Gülle. Das ist der Gestank von überdünkten Feldern. Nun ist mein Wohlwollen gänzlich dahin. Warum, frage ich mich, stelle ich mir eigentlich das Landleben immer noch idyllisch vor? Schon lange weiss ich, dass in der intensiv betriebenen Landwirtschaft Deutschlands kein Platz ist für romantisierendes Landleben. Dieses gibt es nur noch in der Werbung. Auf den Milchpackungen haben Milchkühe immer noch Hörner und stehen auf grünen Wiesen. Dabei stehen die hochgezüchteten Kühe nur im Stall, denn mit ihren Rieseneutern können sie gar nicht mehr richtig laufen, schon gar nicht auf Wiesen. Ein Trecker zieht neben mir auf einem Feld gigantischen Ausmaßes seine Runden. Hinter sich zieht er schwere Walzen, verdichtet den Boden und wirbelt bei der Trockenheit jede Menge Staub auf.
Ich bin dann froh, endlich in Mallnow anzukommen. Nachdem die Zubringerstraße hinter mir liegt, wird es ruhig. Das Dörfchen liegt etwas verschlafen im Sonnenschein. Weil die Natur noch nicht so richtig erwacht ist, sieht alles noch ein bisschen öde aus. Allerdings weiss ich nicht, ob hier im Sommer so viel blüht. Die Gärten, die die Häuser umfassen, sind monoton angelegt. Ich habe keinen einzigen Nutzgarten gesehen, und auch die Gartengestaltung kommt meistens ohne Blumen aus (allerdings sind die Sträucher österlich mit bunten Eiern geschmückt). In den meisten Gärten gibt es nur Rasen und Koniferen zu sehen. Wahrscheinlich hat die Landbevölkerung keine Zeit und auch kein Geld? Ich beschließe endlich die blöden, idealisierenden und verniedlichenden Vorstellungen à la “LandLust” und Konsorten aus meinem Kopf zu verbannen!
Auch im Dorf ist alles gut ausgeschildert, ein Verlaufen ist unmöglich. Am Ende gibt es einen Parkplatz und dann fängt das Naturschutzgebiet an. Mallnow liegt an den Hängen des Oderbruchtals, weshalb sich gleich zu Beginn ein Blick in die Tiefen des Odertals eröffnet. Sehr schön! In einem Wäldchen singen mehrere Stare und Spatzen um die Wette und — was höre ich in der Ferne? Das Trompeten von Kranichen! Dann muss es in dieser stark bewirtschafteten Region noch Refugien geben, denn Kraniche (Kranich-Reportage) sind scheue Vögel.
Zwei Rundwege werden ausgezeichnet ein “großer” und ein kleiner. Ich folge dem großen Rundweg. Der Weg schlängelt über Stock und Stein, die Vögel markieren lautstark ihr Revier und sind auf Brautschau. Dann geht es die Hänge hinunter. Dort sehe ich die ersten Adonisröschen blitzen. Sie sind die allerersten Farbtupfer in dem noch graubraunen Gras. Doch beim genauen Hinsehen sind sie wunderschön, die gelbe Farbe überstrahlt richtig. Die Adonisröschen mögen mageren Sandboden. Auf mehreren, runden Endmoränen-Hügeln stehen sie in großer Zahl auf der Südseite der Hänge.
Dazwischen blitzt es blau — Veilchen (Viola odorata) sind als weitere Frühlingsboten zu sehen. Der Rundweg führt weiter und schließt zum kleinen Rundweg auf. Das ganze Gebiet ist relativ übersichtlich und klein. Überall gibt es Schilder, die etwas über die besondere Bodenbeschaffenheit der Endmoränenlandschaft berichten. Auch, dass die Trockenhänge sehr besonders sind. Wegen ihrer Wärme und Trockenheit ziehen sie besondere Pflanzen und Tiere an. Im Sommer soll sogar manchmal der sehr seltene Wiedehopf zu sehen sein.
Von der Anhöhe des kleinen Rundwegs eröffnet sich ein Überblick über das ganze Adonisröschen-Trockenhang-Gebiet. Es ist nicht groß. Wenn ich mir vorstelle, dass am Wochenende hunderte von Leuten hier rumstapfen, dann könnte bald nichts mehr übrig bleiben von diesen seltenen Trockenhängen mit ihren seltenen Bewohnern.
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