Die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) ist ein komplexes Jahrtausende altes Medizinsystem. Im Westen ist die TCM vor allem durch die Akupunktur bekannt geworden. Allerdings gehört die Pflanzenheilkunde genauso zur TCM und wird in China ausgiebig genutzt. Um das Wissen der Chinesen den Deutschen zugänglich zu machen, hat sich ein Autoren-Team die Arbeit gemacht, 180 bekannte westliche Heilpflanzen im Kontext der TCM vorzustellen. Ein Buchtipp.
Gleich vorweg: Ich halte das Buch für ausgesprochen gelungen. Denn es vermittelt anhand 180 relativ bekannter westlicher Heilkräuter, wie die Chinesen eben diese Heilkräuter einsetzen und verwenden. Es sind bei uns bekannte und gebräuchliche Pflanzen, Gewürze oder Nahrungsmittel. Beim Lesen findet sich erstaunlich viel Verbindendes, aber auch Trennendes. Dieser Ansatz kann für Pflanzenheilkundler und engagierte Heilpflanzen-Interessierte außerordentlich spannend sein.
Das Schwierigste für Europäer ist das Eintauchen in die Philosophie der TCM, die sich über Jahrtausende entwickelte. Um die Leser in das Thema zu führen, nutzen die Autoren Ähnlichkeiten zwischen den europäischen und chinesischen Medizin-Systemen. Die antike Medizinlehre der Griechen beispielsweise definierte ein Vier-Elemente-System (Luft-Erde-Wasser-Feuer), welches sich auf die Zusammensetzung der Körpersäfte bezog. Diese können in Ungleichgewicht geraten. Ähnlich bei den Chinesen, wo sich die fünf bekannten Elemente (zusätzlich Holz) ebenfalls in einem stetigen Wechselspiel zueinander stehen und auch in Ungleichgewicht geraten können. Bei beiden Medizinsystemen wird versucht, die Harmonie der Körpersäfte oder Elemente wieder herzustellen. Die Signaturenlehre des Morgen- und Abendlandes weist zum Teil ebenfalls erstaunliche Vergleichbarkeiten in Betrachtung oder Einsatz der Heilpflanzen auf. Den Autoren gelingt auf diese Weise ein Brückenschlag zwischen den unterschiedlichen, alten medizinischen Systemen. So werden z.B. Listen von wärmenden, trocknenden, kühlenden oder befeuchtenden Qualitäten von Heilkräutern der Humoralpathologie aufgeführt. Diese sind dann vergleichbar mit den Qualitäten, welche chinesische Heiler beobachten und anwenden. Dass sich aus den Beobachtungen, Ähnlichkeiten entwickelten läßt sich leicht nachvollziehen: Denn sowohl die Griechen wie auch Chinesen wandten erfahrungsheilkundliche Methoden des Beobachten, Schmeckens und anwendenden Erfahrens an.
Nach der Vorstellung der Entwicklungen bis in die Moderne der europäischen Pflanzenheilkunde, beschäftigen sich die Autoren mit den ausgewählten TCM-Heilpflanzen. Der (größere) Hauptteil des Buches ist den chinesischen Heilkräutern bestimmt: “Wärmende Kräuter, die Wind-Kälte zertreuen”, “Kühlende Kräuter, die Wind-Hitze zerstreuen” heisst es da in verschiedenen Kapiteln, die sich z.B. mit Heilpflanzen befassen, die bei Erkältungskrankheiten und Infekten angewandt werden. Die Kapitel erläutern die Herangehensweise und stellen anschließend entsprechende Heilpflanzen dar. Am Beispiel Salbei:
Die Wirkbeschreibung lautet: “Oberfläche von Wind-Hitze oder Wind-Kälte befreiend, diaphoretisch.
Indiaktion: bei beginnender Erkältung zum Einleiten des Schwitzens (3–5 Gramm 5–10 Minuten Infus heiß trinken). Die entsprechende Rezeptur ist also auch gleich mit eingefügt.
Wer sich mit der TCM schon befasst hat, wird das Buch mögen, denn es bietet viele überraschende Ansätze. Das Buch ist sehr strukturiert mit vielen Tabellen aufgebaut, die leichtes Lesen ermöglichen. Sicherlich ist es kein Buch, welches in einem durchgelesen werden kann. Aber eines, welches immer wieder aufgeschlagen wird, um nachzulesen oder wieder Neues zu erfahren. Therapeuten werden es sicherlich spannend finden, wie die Chinesen “ihre” Heilpflanzen bewerten — schließlich hat jeder Mensch besonders geschätzte “Lieblingsheilpflanzen” zu denen besondere persönliche Bezüge bestehen.
Magel, H, Prinz W, van Luik S: 180 westliche Kräuter in der chinesischen Medizin. Behandlungsstrategien und Rezepturen, Haug Verlag, Stuttgart, 2012.
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