Die Gesund­heits­leh­ren von Hil­de­gard von Bingen

Das Weltall - aus dem Hildegard von Bingen-Codex
Das Welt­all — aus dem Hil­de­gard von Bingen-Codex
Hil­de­gard von Bin­gen (1098–1179), Bene­dik­ti­ne­rin, ers­te deut­sche Mys­ti­ke­rin. Patro­nin der Sprach­for­scher, Espe­ran­tis­ten und Natur­wis­sen­schaft­ler war eine mit­tel­al­ter­li­che Äbtis­sin, die sich inten­siv mit Medi­zin, Natur­heil­kun­de und Ernäh­rung beschäf­tig­te. Sie ver­band die medi­zi­ni­sche Tra­di­ti­on ihrer Zeit mit dem Heil­kräu­ter­wis­sen aus der Volks­me­di­zin und schuf so eine neue Volks­me­di­zin. Sie glaub­te auch, dass sie gött­li­che Visio­nen hat­te, die ihr die Wir­kung von Heil­pflan­zen oder gesun­der ganz­heit­li­cher Ernäh­rung offenbarten.

Ihre Gesund­heits­leh­ren basier­ten auf dem Kon­zept der Grün­kraft, die sie als eine Lebens­en­er­gie ver­stand, die in allen Pflan­zen und Men­schen vor­han­den ist. Um die­se Grün­kraft zu erhal­ten oder zu stär­ken, emp­fahl sie eine aus­ge­wo­ge­ne Ernäh­rung mit viel Gemü­se, Obst, Getrei­de und Kräu­tern. Sie leg­te auch Wert auf die Qua­li­tät der Lebens­mit­tel und ver­mied alles, was ver­dor­ben oder unver­träg­lich war.

Neben der Ernäh­rung setz­te Hil­de­gard von Bin­gen auch auf Heil­pflan­zen zur Behand­lung ver­schie­de­ner Krank­hei­ten. Sie beschrieb über 200 Pflan­zen­ar­ten und ihre Anwen­dungs­mög­lich­kei­ten für Kör­per, See­le und Geist. Zum Bei­spiel emp­fahl sie Arni­ka gegen stump­fe Ver­let­zun­gen oder gel­ben Enzi­an gegen Magen­schmer­zen. Sie ver­wen­de­te auch ver­schie­de­ne Sal­ben, Öle oder Tink­tu­ren aus Pflan­zen­ex­trak­ten für äuße­re Anwendungen.

Hil­de­gard von Bin­gen gilt als eine der bedeu­tends­ten Natur­heil­kund­le­rin­nen des Mit­tel­al­ters und ihre Gesund­heits­leh­ren sind bis heu­te aktu­ell und beliebt bei vie­len Menschen.

Bio­gra­phie: Hil­de­gard von Bin­gen ver­mut­lich in Ber­mers­heim bei Alzey (nahe Bin­gen am Rhein) als Toch­ter des Edlen Hil­d­e­bert von Ber­mers­heim gebo­ren und im nahen Bene­dik­ti­ne­rin­nen­klos­ter Disi­bo­den­berg an der Nahe erzo­gen, wo sie 1114 Bene­dik­ti­ne­rin wur­de. Nach dem Tod der Äbtis­sin, der sel. Jut­ta, über­nahm sie 1136 die Lei­tung einer Gemein­schaft from­mer Frau­en. Zwi­schen 1147 und 1150 grün­de­te sie auf dem Ruperts­berg (Bin­ger­brück) ein Klos­ter und 1165 in Eib­in­gen bei Rüdes­heim ein Toch­ter­klos­ter dazu. Sie reis­te nach Köln, Trier und auch nach Süd­deutsch­land und Frank­reich, war mit Bern­hard von Clairvaux befreun­det, hielt zahl­rei­che für das Volk und den Kle­rus unbe­que­me Pre­dig­ten und wur­de von vie­len Per­sön­lich­kei­ten, dar­un­ter Kai­ser Fried­rich I. Bar­ba­ros­sa, meh­re­ren Päps­ten, Köni­gen, Bischö­fen und Ordens­obe­ren, um Rat gefragt, was über 300 Brie­fe bele­gen. Schon von Kind­heit an hat­te Hil­de­gard Visio­nen, die sie in ihren pro­phe­ti­schen Schrif­ten, Erst­lin­gen der deut­schen Mys­tik, beschrieb, z.B. ›Sci­vi­as‹ (lat. sci vias = Wis­se die Wege). Sie gilt auch als Begrün­de­rin der wis­sen­schaft­li­chen Natur­ge­schich­te in Deutsch­land und ist noch heu­te durch ihre Volks­heil­kun­de weit­hin bekannt. Hil­de­gard starb in ihrem Klos­ter Ruperts­berg, ihre Reli­qui­en ruhen in der ehe­ma­li­gen Klos­ter­kir­che von Eibingen.

Die wis­sen­schaft­li­che Berück­sich­ti­gung von Hil­de­gard von Bingen

Im 12. Jahr­hun­dert wur­den Hil­de­gards Schrif­ten rege rezi­piert, doch schon das fol­gen­de Sae­cu­lum zeig­te schwä­che­res Inter­es­se. Dies läßt sich auch an der hand­schrift­li­chen Über­lie­fe­rung ihrer Schrif­ten able­sen, die deut­lich in ihrem Jahr­hun­dert zen­triert erschei­nen. Ihre Wer­ke wur­den nicht — wie die ande­rer Autoren — kom­men­tiert, doch fin­den sich Aus­ein­an­der­set­zun­gen ihrer illus­trier­ten Hand­schrif­ten über das Medi­um der bil­den­den Kunst; auch in Brie­fen von Zeit­ge­nos­sen oder — weit­aus sel­te­ner — von spä­te­ren Gene­ra­tio­nen tau­chen Aus­füh­run­gen zu Hil­de­gards Schaf­fen auf, eben­so in den Abschnit­ten ihrer Viten, die ihre Visio­nen und Schrif­ten auf­grei­fen. Vol­mars frü­he Vita, die wohl mit auto­bio­gra­phi­schen Berich­ten Hil­de­gards durch­setzt ist, wur­de in den Viten Wiberts von Gem­bloux und Gott­frieds und Theo­de­richs ver­ar­bei­tet. Inter­es­se fand Hil­de­gard in den nach­fol­gen­den Jahr­hun­der­ten vor allem durch ihre Weis­sa­gun­gen, ins­be­son­de­re durch die Kom­pi­la­ti­on ihrer apo­ka­lyp­ti­schen Visio­nen von Gebe­nos von Eber­bach. Aus dem Ver­ges­sen­sein wur­de sie erst am Anfang des 20. Jahr­hun­derts wie­der geweckt, als vom neu erbau­ten Toch­ter- und Nach­fol­ge­klos­ter Hil­de­gards eine zwei­te Rezep­ti­ons­wel­le initi­iert wur­de, wel­che Devo­ti­on und Wis­sen­schaft in ihren Dienst stell­te und Über­set­zun­gen sowie Unter­su­chun­gen ihrer Schrif­ten sowie bio­gra­phi­sche Stu­di­en her­vor­brin­gen ließ. Die Ver­an­stal­tun­gen zu ihrem 800. Todes­tag 1979 bahn­ten schließ­lich dem Unter­neh­men einer kri­ti­schen Edi­ti­on den Weg. Aller­dings rei­ten auf die­ser Wel­le auch etli­che pseu­do­wis­sen­schaft­li­che und eso­te­ri­sche Publi­ka­tio­nen zu Hil­de­gards Heil­kun­de- und Visi­ons­li­te­ra­tur, die der For­schung nur wenig dien­lich sind. Ins Mit­tel- bezie­hungs­wei­se Früh­neu­hoch­deut­sche fand punk­tu­ell der (Hil­de­gard zuge­schrie­be­ne) ‘Liber sub­ti­li­ta­tum’ Ein­gang, bei des­sen Rezep­ti­on der ‘Trac­ta­tus de her­bis’ im Vor­der­grund stand.

Quel­le
• Erhard Gorys: Lexi­kon der Hei­li­gen (Hil­de­gard von Bin­gen). Dt. Taschen­­buch-Ver­­lag, Mün­chen, 1997.
• Gun­dolf Keil: Hil­­de­­gard-von-Bin­­gen-Rezep­­ti­on. In Wer­ner E. Gera­bek, Bern­hard D. Haa­ge, Gun­dolf Keil und Wolf­gang Weg­ner: Enzy­klo­pä­die der Medi­zin­ge­schich­te. de Gruy­ter, Ber­lin, 2007.
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Bild­nach­weis
• Meis­ter des Hil­­de­­gar­­dis-Codex: Hil­­de­­gar­­dis- Codex, soge­nann­ter Sci­­vi­as-Codex, Sze­ne: Das Welt­all, ent­stan­den um 1165, Per­ga­ment, Eib­in­gen (bei Rüdes­heim), Bene­dik­ti­ne­rin­nen­ab­tei Sankt Hil­de­gard. Anmer­kung: Die Buch­ma­le­rei aus Klos­ter Ruperts­berg ist nur als hand­ge­fer­tig­tes Fak­si­mi­le von 1927 erhalten.